Über Gewaltfreiheit
Das Wort „Gewalt“ leitet sich vom Althochdeutschen waltan“ „stark sein, beherrschen“ ab. Gewalt auszuüben heißt, jemanden dem eigenen Willen zu unterwerfen und diesen Menschen in seinem Potenzial einzuschränken. Gewaltfreiheit heißt für mich deshalb auch, sowohl mir wie meinem Gegenüber zu ermöglichen, unser tatsächliches Potenzial zu leben.
Das Konzept der Gewaltfreiheit hat eine lange Tradition. Bereits Jesus wollte nicht dem Bösen mit dessen eigenen Mitteln begegnen. „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann“, heißt es z.B. in den Römerbriefen. Der Gegner soll dem Gegenüber nicht die Methoden ihrer Gegnerschaft diktieren. Jesus‘ gewaltfreien Aktionen sind bis heute in Sentenzen wie „die andere Wange hinhalten“, „eine zweite Meile mitgehen“ oder „sich nackt ausziehen“ überliefert. Deren revolutionärer Gehalt erschließt sich jedoch nur vor dem konkreten historischen Kontext.
Auch der indische Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi entschied sich, mit gewaltlosen Aktionen für die Anliegen der unterdrückten indischen Bevölkerung zu streiten. Er wollte mit „Satyagraha“ überzeugen, mit „Gütekraft“. Dieses Wort wurde später mit Gewaltfreiheit übersetzt. Gandhi war davon überzeugt, dass eine Person sich selbst schädigt, wenn sie passiv bleibt und nichts gegen Unrecht tut. Zum einen, weil sie Unrecht an sich selbst zulasse; zum anderen, weil sie sich mit Selbstvorwürfen plage. Er definiert „Gewaltfreiheit“ mit „Festhalten an der Wahrheit, Kraft der Wahrheit“ oder „Liebes- oder Seelenkraft“.
Ähnlich beschrieb der afro-amerikanische christliche Prediger Martin Luther King sein friedvolles Handeln. Er nahm die Rassentrennung in den USA nicht widerstandslos hin. Vielmehr führte er während der Rassenauseinandersetzung in den USA der 1960er Jahre den Widerstand ohne Gewalt an. Dabei setzte er auf „Agape“, uneigennützige Liebe. Sie sucht das Beste in den anderen, löst sich vom Freund-Feind-Denken und entwickelt Mitgefühl selbst für die Peiniger: „Bringt so viel Liebe auf, dass ihr Böses hinunterschlucken könnt, und so viel Verständnis, dass aus Feinden Freunde werden“, schrieb Martin Luther King.